Gestern machte Facebook mit einem spektakulären Einkauf von sich reden: Es übernahm den Messenger-Dienst WhatsApp für 19 Mrd. Dollar. Nach dem überraschenden Kauf von Instagram hat das soziale Netzwerk nun wieder zugeschlagen. Aber warum war Facebook überhaupt bereit so viel Geld in die Hand zu nehmen? Und was bedeutet das alles für die Nutzer? Wir haben die Antworten.
WhatsApp vor Facebook
Im Gegensatz zu sozialen Netzwerken auf dem PC gibt es im mobilen Bereich keinen eindeutigen Messenger-Marktführer. WhatsApp ist jedoch der weltweit größte Kurznachrichtendienst und in den meisten Ländern der Welt viel populärer als Facebooks Messenger. Ein kurzer Vergleich zeigt: WhatsApp hat mit 450 Mio. Nutzern so viele wie der Facebook-Messenger (300 Mio.) und Instagram (150 Mio.) zusammen, und ist zudem global viel weiter verbreitet. Lediglich in den USA liegt Facebooks Kurznachrichtendienst noch vorne. In Deutschland ist WhatsApp sogar die beliebteste App überhaupt (30 Mio. Nutzer) und liegt sogar noch vor Facebook (auf Computer und Smartphone zusammen 25 Mio.).
Die Geschichte einer Einkaufstour
WhatsApp war nicht der erste große Einkauf von Facebook:
- Erst im April 2012 wurde Instagram für knapp 1 Mrd. Dollar geschluckt.
- Im letzten Sommer kam ans Licht, dass Facebook für den Kauf von Snapchat 3 Mrd. Dollar geboten hatte, dessen Anbieter lehnten aber ab.
Mit WhatsApp gelang jetzt der große Coup, jedoch zu einem unglaublichen Preis. Facebook ist damit zu einem der Giganten des Silicon Valley aufgestiegen. Wie viele der anderen großen Player rund um Apple, Google und Co. entwickelt es nicht mehr nur eigene Produkte, sondern kauft auch strategisch erfolgreiche Dienste ein. In diesem schnelllebigen Business kann Facebook es sich einfach nicht leisten, abgehängt zu werden. Und gerade der mobile Bereich wird oft als Schwäche ausgelegt. Wegen Instagram oder Snapchat laufen dem sozialen Netzwerk scharenweise junge Nutzer weg und dagegen will es vorgehen. Der Kauf von WhatsApp zeigt: Facebook will auf dem mobilen Markt nicht nur aufholen, sondern direkt die Führung übernehmen.
Was einige Experten auch vermuten: Facebook legt den Fokus nicht nur auf mobile Dominanz und Kommunikationsdienste, auch Fotos spielen eine zentrale Rolle für das soziale Netzwerk. Auch hier liegt WhatsApp wieder deutlich vor Facebook und Instagram. In der App werden täglich mehr als 500 Mio. Bilder verschickt, mehr als in den beiden anderen Diensten zusammen (350 Mio. bzw. 55 Mio.), sogar mehr als im Foto-Messenger Snapchat (400 Mio.). Kurz gesagt: Auch in diesem Punkt hatte Facebook Aufholbedarf.
Offen bleibt, wie die Konkurrenz darauf reagiert. Apple betreibt weiterhin iMessage, Google setzt auf Hangouts, in Fernost liegen WeChat, Line und Co auf der Lauer und auch Microsoft hat mit Skype noch ein Ass in der Hinterhand. Die Rolle von Snapchat darf ebenfalls nicht unterschätzt werden. Ob diese Konkurrenten der geballten Kraft von Facebook, WhatsApp und Instagram allerdings noch viel entgegen zu setzen haben ist durchaus fraglich.
Was bedeutet die Übernahme für uns Nutzer?
Facebook ist eine berüchtigte Datenkrake und dafür bekannt mit Nutzerdaten nicht immer besonders gut umzugehen. Die User sollen möglichst viele Informationen von sich preisgeben, die dann wiederum für Werbung verwendet werden. Welche Folgen hat der Kauf von WhatsApp also für dessen Nutzer? Geht es dort bald auch so zu? Und kommt bald kein WhatsApp-Nutzer mehr ohne Facebook-Konto aus?
Was passiert mit meinen Daten?
Bekommt Facebook jetzt alle Handynummern aus WhatsApps Daten?
- WhatsApp hat Zugriff auf die Telefonnummern aller Nutzer und auf alle Nummern, die in deren Kontaktliste stehen. Eine Registrierung bei Facebook wiederum läuft meistens per E-Mail-Adresse. Was viele aber nicht wissen: Das soziale Netzwerk greift auch schon jetzt unzählige Handynummern von Facebook-Nutzern und deren Kontakten ab! Denn wer die Facebook-App auf dem Smartphone nutzt, gibt der App automatisch auch das Einverständnis, auf das Addressbuch im Gerät zuzugreifen. Damit liegen auch jetzt schon die Handynummer von über 800 Mio. Menschen auf den Servern von Facebook. Der Datenkrake hat aber mit Sicherheit ein Interesse daran, noch mehr private Daten von alten (und neuen) Nutzern zu bekommen.
- Unsere Einschätzung: Wie viel Zugriff Facebook auf die Daten von WhatsApp erhält, bleibt vorerst offen. Wie es sich aber entwickeln könnte zeigt die Antwort auf die nächste Frage.
Ändert WhatsApp die Nutzungsbedingungen?
- Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Weniger als ein Jahr nach der Übernahme wurden neue AGB vorgestellt, die dem Dienst bedeutend größere Rechte einräumten. Unter anderem Teil der neuen Bedingungen: Eine weltweit gültige, unterlizenzierbare Lizenz zur Nutzung und Weitergabe aller hochgeladenen Inhalte der Nutzer. Aufmerksame Leser erkennen hier eine große Ähnlichkeit zu Facebook. Instagram kann dank der neuen AGB zudem Nutzerdaten an das Mutterunternehmen Facebook weitergeben. Eine Befürchtung, die jetzt auch bei WhatsApp besteht.
- Unsere Einschätzung: Die Ängste sind möglicherweise nicht unbegründet. Facebook wird sicher nicht so viel Geld investieren, ohne zumindest einen einzigen direkten Vorteil daraus zu ziehen. Auch bei Instagram hat die Umstellung der AGB den Nutzerzahlen nicht geschadet. Ganz im Gegenteil, seither sind diese um fast 50 Prozent gewachsen.
Wie wird sich WhatsApp selbst verändern?
Brauchen wir demnächst ein Facebook-Konto für WhatsApp?
- WhatsApp basiert auf der Kommunikation zwischen Telefonkontakten und ist damit sehr erfolgreich. Facebook benötigt zur Anmeldung die E-Mail-Adresse oder die Handynummer. Zwei unterschiedliche Wege, auch technisch. Bei Facebooks letztem großen Deal Instagram war die Integration zum Kaufzeitpunkt schon weiter fortgeschritten. Dort konnten sich Nutzer schon zuvor mit ihrem Facebook-Zugang registrieren. Bis heute gibt es aber die Möglichkeit diese Brücke nicht zu schlagen und beide Dienste getrennt zu nutzen.
- Unsere Einschätzung: WhatsApp wird auch weiterhin auf die Telefonkontakte der Nutzer setzen, um niemanden abzuschrecken. Eine Integration in Facebook-Dienste werden wir so schnell nicht sehen.
Können wir bald zwischen WhatsApp und Facebook-Chat kommunizieren?
- In der Ankündigung der Akquisition machte Mark Zuckerberg eines klar: WhatsApp und der Facebook-Messenger sind zwei Produkte, die verschiedene Ziele verfolgen. Messenger sei für den Chat mit Facebook-Freunden, WhatsApp ziele auf den Kontakt mit allen Freunden aus dem Telefonbuch ab. Gerade bei Jugendlichen sind das jedoch meistens (fast) die gleichen Personen. Wird also eine Schnittstelle zwischen den Diensten eingerichtet? Oder verschwindet der Facebook-Chat komplett?
- Unsere Einschätzung: WhatsApp und Messenger sind getrennt und werden es auch bleiben. Die unterschiedlichen Funktionsweisen könnten womöglich überbrückt werden, aber es besteht die zu große Gefahr, dass Nutzer dadurch abgeschreckt werden. Dieses Risiko wird Facebook kaum eingehen. Ein weiterer Blick in die Vergangenheit zeigt außerdem: Auch Instagram hat mit Instagram Direct ein eigenes Messenger-System bekommen und wurde nicht mit Facebook verknüpft. Es gibt keinen Grund, weswegen das bei WhatsApp anders laufen sollte.
In Facebook gibt es Werbung. Blüht uns das jetzt auch in WhatsApp?
- Das soziale Netzwerk macht über 90 Prozent seines Umsatzes mit Werbung. Mittlerweile kommt sogar über die Hälfte der Werbeeinnahmen aus dem mobilen Bereich. Das Modell von WhatsApp ist bisher das komplette Gegenteil. Jeder Nutzer zahlt eine jährliche Gebühr von 0,89 Euro und die App bleibt dafür werbefrei. Die Macher haben auch mehrfach ihre Ablehnung für Werbung in Apps ausgedrückt. “Werbung ist (…) die Störung der Ästhetik, die Beleidigung Ihrer Intelligenz und die Unterbrechung Ihres Gedankengangs.” schreiben sie in ihrem Unternehmensblog. Wie das mit der Philosophie des neuen Mutterunternehmens zusammenpassen soll, bleibt unbeantwortet.
- Unsere Einschätzung: Auch wenn Facebook für Werbung steht, so zeigt ein Indikator in die andere Richtung: Mobile Werbung gibt es bei Facebook nur in den “Neuigkeiten” der Standard-App, der Messenger ist komplett werbefrei. Deswegen wird sich auch in WhatsApp so schnell nichts am Finanzierungs- und Werbekonzept ändern.
Unser Fazit: Vorerst bleibt fast alles beim Alten
„Here’s what will change for you, our users: nothing.“ Das schreiben die WhatsApp-Macher auf ihrem Unternehmens-Blog. Auch wenn solche PR-Aussagen mit Vorsicht zu genießen sind, dürfte das in diesem Fall zum großen Teil stimmen. Facebook wird nicht das Risiko eingehen, die 450 Mio. WhatsApp-Nutzer durch vorschnelle Änderungen und neue Funktionen zu verschrecken. Dazu passen auch die Aussagen von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Er kündigte an, dass die Pläne für die Weiterentwicklung von WhatsApp mittelfristig nicht geändert werden. Außerdem bleibt WhatsApp als Unternehmen eigenständig und die Mitarbeiter arbeiten weiterhin am bisherigen Sitz in Mountain View. Im Gegensatz dazu ist Instagram in Facebooks Hauptquartier in Menlo Park umgezogen. An den Funktionen von WhatsApp wird sich also nicht viel ändern. Wie es um den Datenschutz bestellt ist kann jedoch kaum zuverlässig vorhergesagt werden. Nur eines ist sicher: Facebooks Datenhunger ist noch lange nicht gestillt.